Gemeinschaftliche Wohnformen am Land – wie kann das funktionieren?
Gemeinschaftliche Wohnprojekte sind im Aufschwung. Sie bieten viele Vorteile für ihre Bewohner*innen und darüber hinaus auch für Gemeinden. Der Regionalverein Inn-Salzach EUREGIO beschäftigt sich im Rahmen des AGENDA 21 Pilotprojektes „Gemeinsam Dahoam“ mit gemeinschaftlichem Wohnen und Leben am Land. Im Interview mit der erfahrenen Architektin – Johanna Treberspurg – geht es um die Fragen wie dieses gemeinsame Bauen funktionieren kann und was die Vorteile und auch Herausforderungen solcher Wohnprojekte im ländlichen Raum sind.
Frau Treberspurg, das Projekt „Gemeinsam Dahoam“ der Inn-Salzach EUREGIO will gemeinschaftliches Wohnen im Innviertel vorantreiben. Sehen Sie dafür Potenzial in der Region und welche Chancen kann es bieten?
Auf jeden Fall sehe ich im Innviertel dafür Potenzial! Durch die derzeitige Situation erfahren alternative Wohnformen einen Aufschwung. Wohnen ist kaum mehr leistbar – auch nicht am Land, Baugründe kaum mehr verfügbar, das Bewusstsein für eine nachhaltige Lebensweise wächst stetig. Wohnen in Gemeinschaft ist flächensparender, weil solche Wohnprojekte meist mehrgeschossig sind, architektonisch und baulich hochwertiger, weil die Ansprüche vieler befriedigt werden, Ressourcen schonender, weil vieles geteilt wird und sozial verträglicher, weil das Gemeinsame im Vordergrund steht.
Speziell im ländlichen Raum strahlen gemeinschaftliche Wohnprojekte häufig positiv auf die Gemeinde, in denen solche Projekte entstehen, aus. Wenn etwa ein Veranstaltungsraum errichtet wird oder wenn im Gemeinschaftsraum jemand spannende Kurse oder Kinderbetreuung für die gesamte Gemeindebevölkerung anbietet.
Welche Chancen bieten gemeinschaftliche Wohnprojekte für die Bewohner*innen?
Ein Kerngedanke beim gemeinsamen Wohnen ist, dass verschiedene Ressourcen geteilt werden können – sowohl materielle, immaterielle oder räumliche Ressourcen. Bewohner*innen gemeinschaftlicher Wohnprojekte unterstützen sich häufig im Alltag und schauen abwechselnd auf die Kinder, helfen den älteren Nachbar*innen mit Einkäufen oder im Haushalt und ähnliches. Räumlich bietet ein solches Wohnprojekt die Chance wirklich große Räume mitzuplanen, die vielseitig genutzt werden können und die man sich alleine und für ein Einfamilienhaus nicht leisten könnte. Durch die Aufteilung der Baukosten ist es für die Bewohner*innen dann möglich eine gemeinsame Werkstatt, einen Praxisraum, eine Gemeinschaftssauna und einen Co-Working-Raum zu errichten – alleine wäre das schwer zu finanzieren.
Können Sie uns erzählen, welche Herausforderungen solche Wohnprojekte bergen? Ein Haus zu bauen kann ja schon für eine einzelne Familie sehr schwierig sein, wie ist das dann in einer Gruppe?
Eine große Herausforderung ist sicherlich die gemeinschaftliche Planung und Entscheidungsfindung, dazu empfiehlt es sich professionelle Unterstützung dazu zu holen. Hat sich eine Gruppe von Menschen gefunden, die gemeinsam planen und wohnen wollen, gibt es zwei weitere wesentliche Herausforderungen. Eine ist die Grundstückssuche und die andere ist die Finanzierung. In beiden Fällen ist es wichtig, frühzeitig zu überlegen, wie und wo man wohnen möchte, ein Grundstück zu fixieren und sich für eine Finanzierungsmöglichkeit zu entscheiden. Die meisten Projekte werden über eine Drei-Drittel-Lösung finanziert: Ein Drittel Eigenmittel, ein Drittel Bankkredit und ein Drittel alternative Finanzierungsformen wie etwa Direktkredite, Vermögenspool oder Crowdfunding-Kampagnen.
Beim Projekt „Gemeinsam Dahoam“ finde ich besonders spannend, dass die Grundstücks- oder LeerstandseigentümerInnen, aber auch die Gemeinde von Anfang an involviert sind. Das ist bei vielen gemeinschaftliche Wohnprojekt nicht so und ein neuer, sehr spannender Ansatz.
Wem gehört dann ein gemeinschaftliches Wohnprojekt?
Auch die Frage der Eigentumsverhältnisse ist eine Wichtige: Ist es eine EigentümerInnengemeinschaft, eine Genossenschaft oder ein Verein, dem das ganze Haus gehört? Letztere sind derzeit üblicher, weil es den Vorteil hat, dass der Verein bzw. die Genossenschaft, das heißt alle BewohnerInnen des gemeinschaftlichen Wohnprojektes gemeinsam steuern können, wer in die Wohnungen einzieht und die Wohnungen nicht auf den freien Wohnungsmarkt gehen. Jedem gehört sozusagen ein Teil des gemeinschaftlichen Wohnprojektes. Zieht man aus, bekommt man die Eigenmittel üblicherweise mit einem minimalen Abnutzungsprozentsatz zurück.
Gibt es Beispiele für Gemeinschaftliche Wohnprojekte in anderen ländlichen Regionen Österreichs?
Davon gibt es unzählige! Ich selbst habe das Projekt B.R.O.T.-Pressbaum begleitet. Das ist ein sehr spannendes Baugruppenprojekt vom Dachverband B.R.O.T. und ein ökosoziales gemeinschaftliches Wohnprojekt mit hohen ökologischen Standards.
Ein anderes, sehr schönes Beispiel ist das Wohnprojekt Hasendorf in Niederösterreich.
Gerade in Oberösterreich entsteht derzeit sehr viel – im Neubau, wie auch in Bestandsgebäuden, in der Stadt wie auch am Land: Ein älteres Vorzeigebespiel in Oberösterrreich ist GENAWO in Garsten – hier wurde etwa ein alter Mairhof als gemeinschaftliches Wohnprojekt wiederbelebt.
Das Interview ist im Rahmen des Projektes „Gemeinsam Dahoam“ entstanden. Das Projekt nimmt sich proaktiv dem Thema gemeinschaftliches Wohnen an und möchte Bewusstsein für alternative Wohnformen im Innviertel schaffen. Ziel ist es in Pilotgemeinden tatsächlich ein gemeinschaftliches Wohnmodell bis zur Realisierung zu begleiten. Eine erste Informationsveranstaltung zum Projekt findet am 12. Mai 2022, ab 19 Uhr in der Giesserei Ried statt.
Nähere Informationen zum Projekt „Gemeinsam Dahoam“ unter https://inn-salzach-euregio.at/
Zusätzlich beschäftigt sich in der Region Innviertel-Hauruck auch die LEADER-Region Mostlandl-Hausruck mit der Frage „Wie wollen wir am Land wohnen?“ Im Rahmen des Projektes „WIE WOHNEN im Mostlandl Hausruck“ setzt man sich in unterschiedlichen Veranstaltungen und einer Wohn-Ausstellung in Grieskirchen, Peuerbach und Haag am Hausruck u.a. intensiv mit dieser Frage auseinander.
Nähere Informationen zum Projekt „WIE WOHNEN im Mostlandl Hausruck“ unter http://www.mostlandl-hausruck.at/
Johanna Treberspurg ist Architektin und Partnerin im Büro nonconform. Sie begleitet die Entwicklung und Planung gemeinschaftlicher Wohnformen. Selbst in einem gemeinschaftlich errichteten Wohnprojekt aufgewachsen, kennt sie die Vorteile, die ein solches Zusammenleben bietet: den engen Austausch zwischen den Bewohner*innen und Nachbar*innen, die zur Familie werden. Derzeit lebt sie mit ihrem Partner und ihrer kleinen Tochter in Braunau am Inn