Gelebte Multilokalität: Interview 1

Wer bist du und woher kommst du?

Ich bin Savina, 28 Jahre, und komme ursprünglich aus Nüziders/ Vorarlberg.

Wo lebst du jetzt bzw. wo sind die Orte deiner Multilokalität?

Derzeit lebe ich als „exotische Westösterreicherin“ in Aurolzmünster, arbeite in Ried im Innkreis und verbringe auf Grund meiner Freizeitaktivitäten und meiner Familienbande, sehr viel Zeit in Innsbruck und Vorarlberg.

Warum lebst du multilokal (z.B. Ausbildungsbedingt, berufsbedingt, etc.)?

Der Grund für meine Multilokalität ist meine Arbeit als Beraterin für Orts- und Stadtentwicklung, welcher ich seit Anfang des Jahres 2019 nachgehe. Da ich in meinen angestammten Räumen keine Anstellung gefunden habe, die meinem Interessensgebiet in der Geographie entspricht, habe ich beschlossen meinen Radius zu vergrößern und mein Leben flexibler und ortsunabhängiger zu gestalten.  Ich habe nun eine abwechslungsreiche und interessante Arbeit hier in Oberösterreich gefunden und bin sehr froh diesen Schritt gemacht zu haben. Nichtsdestotrotz vermisse ich als „Kind der Berge“ natürlich das Sporteln im Hochgebirge.

Wie wohnst du an den verschiedenen Orten (z.B. eigene Wohnung, im Elternhaus, etc.)?

Wenn ich in Vorarlberg bin quartiere ich mich rigoros im Kinderzimmer bei meinen Eltern ein. In Innsbruck schlafe ich auf der Couch meines Bruders und in Aurolzmünster habe ich eine Garconniere mit 38 m² gemietet.

Wann bist du wo?

Wenn ich nicht gerade irgendwo im Außendienst unterwegs bin, verbringe ich meine Zeit unter der Woche in Aurolzmünster bzw. in Ried im Innkreis beim Arbeiten. An den Wochenenden düse ich dann mit meinem Günther (Anmerkung: das ist der Name meines Autos) nach Innsbruck. In den äußersten Westen Österreichs verschlägt es mich, auf Grund meiner Vorarlberger Projekte, zwar auch immer wieder, jedoch nicht ganz so oft und regelmäßig, wie ich mir das vorstellen würde. Wenn die Distanz zwischen Ried im Innkreis und Nüziders nicht so groß und das Innviertel mit dem ÖPNV-Netz besser angebunden wäre, würde ich definitiv öfters in meine „Heimat des Herzens“ fahren.

Wo ist dein Lebensmittelpunkt und warum?

Meine Lebensmittelpunkte befinden sich in Innsbruck und Vorarlberg. Nicht nur weil meine Familie und meine Freunde dort sind, sondern vor allem, weil ich meine persönlichen Leidenschaften – Bergsteigen, Wandern, Klettern, Biken etc. dort in vollen Zügen ausleben kann. Des Weiteren verfügen die urbanen Räume Innsbruck und das Rheintal-Walgau-Gebiet über eine sehr hohe Lebensqualität in jeglichen Bereichen – sowohl im Natur- als auch im Kulturraum. Ich schätze das sehr und möchte, trotz meiner beruflich-bedingten Abwesenheit, diese Vorzüge weiterhin genießen. Aus diesem Grund nehme ich auch einige Fahrkilometer in Kauf, um in diesen „zwei Welten“ zu leben.

Was schätzt du an deiner Multilokalität?

An meiner Multilokalität schätze ich besonders, dass ich sowohl das Land Österreich als auch seine Bewohner aus unterschiedlichen Perspektiven und von diversen Seiten kennenlernen kann. Während meiner Studienzeit habe ich in Innsbruck gelebt und die Tiroler Bräuche und Dialekte kennengelernt. Nun lebe ich in Oberösterreich –  ein Bundesland, welches ich vor meinem 28igsten Lebensjahr nie betreten habe, und bin begeistert von der Freundlichkeit und Gemütlichkeit der OberösterreicherInnen. Auch die hügelige Landschaft mit Raps-, Mais- und Weizenfelder hat ihren ganz eigenen Reiz. Bei Schönwetterlage sehe ich morgens und abends zudem den Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergang – ein Phänomen, welches man im Hochgebirgsland nur auf der Spitze eines Berges beobachten kann. Natürlich vergleiche ich die Standorte auch miteinander – es gibt immer Vor- und Nachteile, jedoch lerne ich jetzt endlich mal „Österreich in seiner Vielfalt“ kennen und erachte die Erweiterung meines persönlichen Horizonts im Kontakt mit den Tirolern und Oberösterreichern als äußerst gewinnbringend. Des Weiteren ist Multilokalität, über die Landesgrenzen hinaus, nicht nur für eine österreichische, sondern auch für eine gemeinsam europäische Identität förderlich.

Gibt es Herausforderungen, die du durch deinen multilokalen Lebensstil bewältigen musst?

Ein paar Herausforderungen gibt es schon. In Österreich ist es für viele behördliche Dienstleistungen nach wie vor wichtig, an welchem Ort sich dein Hauptwohnsitz befindet. Da mein Hauptwohnsitz nicht in Oberösterreich ist, müssen meine Eltern öfters Behördengänge für mich erledigen – z.B. Auto anmelden, Bankgeschäfte tätigen, etc. Meiner Meinung nach, und in Hinblick auf die Digitalisierung, ist die Ortsgebundenheit in verwaltungstechnischen Belangen nicht mehr ganz zeitgemäß – das könnte man auch unkomplizierter gestalten.

Auch in Hinblick auf die ärztliche Versorgung zeigen sich Herausforderungen in meinem multilokalen Lebensstil. In Ried im Innkreis gibt es nur wenige Ärzte und diese sind mehr als nur ausgelastet – de facto habe ich hier weder einen Allgemeinen- noch einen Zahn-, geschweige denn einen Frauenarzt. Die Wartezeiten auf einen Termin betragen mehrere Monate. Meine Ärzte des Vertrauens befinden sich in Innsbruck und Vorarlberg, somit bleibt mir nichts Anderes übrig als die wichtigen Arzttermine mit meinem Urlaub zu koppeln und in meiner Freizeit wahrzunehmen, da ich ansonsten für einen Termin extra mehrere hundert Kilometer fahren müsste. Das Gleiche in Grün mache ich bei meiner Frisörin in Vorarlberg, der ich seit vielen Jahren, und trotz multilokaler Lebensweise, treu bin. Jeder Mensch, der weiß wie schwer es ist eine, für sich passende, Frisörin zu finden, kann mich hier verstehen und wird sich wahrscheinlich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen können.

Eine weitere Herausforderung im Zuge der Multilokalität sind die zusätzlichen Kosten, die durch das Hin-und-herfahren entstehen. Da Aurolzmünster bzw. Ried im Innkreis im ÖPNV-Netz nicht unbedingt gut angeschlossen sind (2 x Umsteigen – in Attnang-Puchheim und Salzburg Hbf bis nach Innsbruck) und man durch diese umstiegsbedingte Wartezeiten einiges an Freizeit verliert, ist das Auto der schnellste, komfortabelste und leider teuerste Weg für mich, nach Innsbruck zu kommen. Car-Sharing-Optionen würden mir hier einen großen Dienst erweisen, denn ökologischer und billiger sind sie allemal!

Was wäre dein größter Wunsch zur Verbesserung deines multilokalen Lebensstils?

Mein größter Wunsch zur Verbesserung meines multilokalen Lebensstils wäre die Möglichkeit zum standortungebundenen Arbeiten zu haben, damit ich im Zuge der „Footloose Economy“ genau dort arbeiten kann, wo ich leben möchte – mal im Gebirge, mal im Hügelland, heute in Vorarlberg, morgen im Tirol und übermorgen in Oberösterreich… Die Digitalisierung macht flexibles und standortungebundenes Arbeiten durch Homeoffice möglich – leider wird dieses Potential von den Arbeitgebern noch zu wenig genutzt, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen, die frei von standortgebundenen „Zwängen“ leben können, motivierter zum Arbeiten und somit wertvollere Mitarbeiter sind. Könnte man alle Zeitdiebe – Behördengänge, lästiges Hin- und Herfahren etc. minimieren oder gar eliminieren, hätte ich nicht nur mehr Freizeit, sondern auch mehr Fokus für die eigentliche Arbeit. Die Digitalisierung wird zwar des Öfteren verschrien – in den Medien spricht man von digitalen Natives der Generation Y und Z, die nur mehr vor dem Smartphone sitzen und von einer „kalten, digitalen“ Welt, in der das soziale Miteinander „antisozialen“ Verhaltensweisen im Netz gewichen ist – jedoch birgt sie auch unheimlich viele positive Möglichkeiten, die zu nutzen wir nun gefordert sind!

Fotocredit: RMOÖ GmbH

Ansprechpartner*in:
Sandra Schwarz & Stefanie Moser